Ein Unternehmen ohne klassische Führungskräfte, ohne Hierarchien und ohne einzelne Entscheider – kann das funktionieren? Mit dieser Frage beschäftigt sich das New Work-Konzept Holokratie, das vom US-Amerikaner Brian Robertson entwickelt wurde. Was sich hinter dem merkwürdigen Begriff verbirgt? Das möchten wir Ihnen gern im nachfolgenden Blogbeitrag erklären.

Definition: Was ist Holokratie?

Kurz gesagt ist die Holokratie eine Form der Strukturierung für Unternehmen und andere Organisationen, bei der es durch Abbau von Hierarchien keine klassischen Führungskräfte gibt. Das Wort „Holokratie“ hat seinen Ursprung im Griechischen und setzt sich zusammen aus „holos“ für „ganz“ oder „vollständig“ und „kratía für „Herrschaft“. Es bedeutet also so viel wie „die Herrschaft von allen“.

Damit diese zugegebenermaßen unkonventionelle Form der Organisation funktioniert, basiert die Holokratie auf einem strengen Regelwerk. Dieses heißt „holacracy constitution“ und führt die einzelnen Prinzipien sowie praktische Beispiele auf. Der Autor des Leitfadens, der stetig ergänzt und aktualisiert wird, ist Brian Robertson, der Erfinder der Holokratie.

Die wichtigsten Merkmale der Holokratie

Holokratie als Möglichkeit, Unternehmen neu zu strukturieren und klassisches Leadership rigoros zu hinterfragen, basiert auf verschiedenen Merkmalen, die gleichzeitig auch die Besonderheit dieses Konzeptes ausmachen. Die wichtigsten hiervon sind:

Eine Besonderheit, die wir an dieser Stelle etwas genauer unter die Lupe nehmen möchten, betrifft Meetings innerhalb eines holokratisch geführten Unternehmens. Diese werden – entsprechend ihrer Zielsetzung – in drei Kategorien unterteilt:

  1. operative Meetings: Diese dienen dem Zweck, alltägliche Aufgaben zu besprechen, Abläufe im Hinblick auf ihre Effizienz zu optimieren usw.

  2. strategische Meetings: Bei strategischen Meetings werden wichtige Fragestellungen diskutiert.

  3. Steuerungsmeetings: Steuerungsmeetings dienen der Weiterentwicklung der Holokratie-Struktur innerhalb des Unternehmens. Hier werden beispielsweise Rollen (neu) definiert, Kreise und Unterkreise gebildet. Wenn ein Kreis nur eine Rolle umfasst, kann die Person, die sie innehat, quasi auch ein Meeting mit sich selbst veranstalten und überlegen, an welchen Stellen es Optimierungsbedarf gibt.

Wie funktioniert Holokratie?

Unternehmen, die auf Holokratie setzen, entscheiden sich ganz bewusst für einen Abbau klassischer Hierarchien und starrer Strukturen. Das Prinzip basiert auf Rollen (auch Funktionen oder Zuständigkeiten genannt), die in Kreisen organisiert und untereinander extrem stark vernetzt sind.

Holokratie-Erfinder Brian Robertson verglich seine Methode selbst mit dem menschlichen Körper. Wie die Organe hat jede Rolle ihre ganz spezielle Aufgabe. Sie stehen im stetigen Austausch zueinander und sind voneinander abhängig. Wenn eine Rolle nicht zufriedenstellend umgesetzt wird ( = ein Organ versagt), dann ist das eine Gefahr für das komplette System.

Eine Rolle ist ein klar definierter Aufgabenbereich innerhalb eines Unternehmens. Dieser kann breit beziehungsweise allgemein gefasst sein (zum Beispiel die Rolle Marketing) oder in mehrere kleinere Rollen (Social Media, Unternehmensblog, Werbung, usw.) unterteilt werden. Einzelne Rollen werden schließlich in übergeordnete Kreise zusammengefasst.

Wichtig: Eine Person innerhalb des Unternehmens kann mehrere Rollen einnehmen. Da diese eindeutig definiert sind, ist zu jeder Zeit klar, wer wofür zuständig ist. Auf diese Weise baut Holokratie die Gefahr von Missverständnissen ab.

Ein entscheidendes Prinzip der Holokratie ist weiterhin das sogenannte double linking. Hierunter versteht man, dass Vertreter einzelner Kreise auch Rollen innerhalb anderer Kreise einnehmen und somit eine enge Vernetzung entsteht. Diese wiederum verhindert Silodenken innerhalb des Unternehmens.

Da es in der Holokratie keine klassischen Führungspersonen gibt, darf und muss jeder Mitarbeiter – vom Geschäftsführer bis zum PraktikantenEntscheidungen treffen. Dieser Umstand sorgt für eine ausgesprochen hohe Agilität und dafür, dass die Unternehmen weniger anfällig für plötzliche Veränderungen und unvorhergesehene Komplikationen sind.

Kritik an der Holokratie

Obwohl die Holokratie eine überaus spannende Möglichkeit ist, Unternehmensstrukturen zu modernisieren, ist sie nur spärlich verbreitet. Zu den größten Anhängern der Methode gehört das US-Unternehmen Zappos, ein Onlineshop, der Teil des Amazon-Konzerns ist. Hier in Deutschland experimentieren vor allem Start-Ups wie „Blinkist“ und Soulbottles“ mit der Holokratie. Große und namhafte Firmen haben es bisher jedoch nicht gewagt, vollständig auf die kollektive Führung aller umzusteigen. Doch woran liegt das eigentlich?

Der größte Kritikpunkt im Hinblick auf die Holokratie ist die ebenso naheliegende wie überraschende Erkenntnis: Die meisten Mitarbeiter wünschen sich ausdrücklich eine traditionelle Führung. Sie wollen weder schwerwiegende Entscheidungen treffen, noch für diese gerade stehen, sondern lieber ausführende Kräfte bleiben. Nicht nur die Generation der Baby Boomer wünscht sich eine klassische Unternehmensführung, auch viele Vertreter der Generation Z fürchten sich regelrecht vor zu viel Verantwortung und sind darum keine geeigneten „Probanden“ für ein Holokratie-Experiment.

Eine weitere Schwachstelle betrifft die Rollen – also die Elemente, die die Holokratie maßgeblich auszeichnen. Wenn auch nur eine Person innerhalb des Unternehmens nicht entsprechend ihrer Rolle handelt, droht das komplette System zu scheitern. An dieser Stelle sei noch einmal an den Vergleich mit dem menschlichen Körper erinnert: Versagt ein einzelnes Organ, kann das unter Umständen fatale Folgen haben, die den kompletten Organismus betreffen.

Fazit: Die meisten Unternehmen sind noch nicht bereit für die Holokratie

Flache Hierarchien gehören in Zeiten von Start-Ups und Co. fast schon zum guten Ton der modernen Arbeitswelt. Doch diese komplett abschaffen? Für die meisten klingt die Holokratie nach wie vor eher nach Science Fiction als nach gelebter Realität in deutschen Büros.

Es werden vermutlich erst noch ein paar Jahre ins Land gehen, bis sich dieses New Work-Konzept bewährt und etabliert hat.

Wir bleiben gespannt.

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